R. Lierke: Die nicht geblasenen antiken Glasgefässe

Cover
Titel
Die nicht geblasenen antiken Glasgefässe.


Autor(en)
Lierke, Rosemarie
Erschienen
Offenbach/Main 2009: Deutsche Glastechnische Gesellschaft
Anzahl Seiten
134 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sylvia Fünfschilling

Die Autorin hat selbst lange mit heissem Glas gearbeitet und kennt die Eigenschaften des Materials aus eigener Erfahrung — beste Voraussetzung für das Erforschen technischer Prozesse.

Ihr kritisches Auge verfolgt schon seit geraumer Zeit Spuren auf nicht geblasenen Glasgefässen, die wie Kratzer aussehen. Die Herstellung solcher Gefässe wird in der Literatur gerne mit dem neutralen Wort «geformt» umschrieben. Die Kratzer deutete man lange als Spuren des Beschleifens eines Glasrohlings, viele Forscher halten noch heute an dieser Meinung fest. Die Autorin geht den Kratzern auf den Grund und erklärt ihre Entstehung sowie die damit verbundenen Techniken.

Das Buch richtet sich vor allem an Studenten und andere am Glas Interessierte. Es ist aus einer Powerpoint-Präsentation anlässlich eines Vorlesungszyklus entstanden und trägt deren Züge noch immer. Jede Seite bespricht einen bestimmten Vorgang, eine bestimmte Technik, eine bestimmte Fragestellung, es liegt ein eigentliches Handbuch vor.

Der durch die Powerpoint-Präsentation bedingte spezielle Aufbau des Buches macht eine Rezension schwierig, kann doch nicht jede Seite besprochen und damit das Buch repetiert werden. Deshalb sollen hier nur die wichtigsten Aspekte zur Sprache kommen.

Die Autorin beginnt mit der Erklärung einiger Grundbegriffe der Glastechnologie: die Zusammensetzung des Glases, die Färbung, die Temperaturen, Fragen zur Oberflächenspannung und eine kurze Übersicht über die verschiedenen Arten, Glas zu verarbeiten. Das Blasen von Glas ist dabei, wie erwähnt, kein Thema, es geht einzig um die unterschiedlichen Methoden, Glas heiss zu formen. Die Autorin geht auf die verschiedenen Vorstufen von Glas ein, z.B. Fayence, und erklärt die Produktion des Rohglases und dessen Verarbeitung.

Als erste der verschiedenen Möglichkeiten, Glas heiss zu formen, präsentiert die Autorin das Formen über einen Kern. Den grössten Raum nehmen jedoch die verschiedenen heiss gepressten Gefässe ein, die eben die typischen umlaufenden Kratzer zeigen. Sie werden in etwa chronologisch vorgestellt. Darunter sind zahlreiche römische Typen wie die bekannten Rippenschalen, die sogenannten «keramikähnlichen Gefässe», die Terra Sigillata-Formen nachahmen, aber auch Luxusobjekte, wie die späten Diatrete. Für diese Gruppe zeigt die Autorin einen überzeugenden technologischen Ansatz: es wird ein doppelwandiger Rohling geformt, der durch die typischen Stege (Netz) verbunden ist. Auch die berühmten Kameogläser dürften gepresst und nicht aus dem Vollen geschliffen sein, was Detailaufnahmen der Oberfläche eindeutig belegen.

Das Buch zeigt, dass das Heisspressen von Glas eine hochentwickelte Technik war, die zahlreiche handwerklich hochstehende Glasgefässe hervorbrachte. Ein intensives Studium der Oberflächen macht die Spuren dieser Technik sichtbar, das Buch vereint viele Beispiele. Da man zum Pressen von Glas wohl Gipsformen benützte, die kein zweites Mal gebraucht werden konnten, ist die Technik nicht mit dem modernen Pressen von Glas zu vergleichen. Letzteres ist eine Methode zur preiswerten Herstellung, die antike Methode hingegen nicht. Selbst heutzutage, wo die technischen Möglichkeiten zu spannungsfreien Gläsern gegeben sind, käme kaum jemand auf die Idee, ein Glasgefäss aus einem Rohling herauszuschleifen (obwohl gerade dies mit Diatreten gemacht wurde, um zu beweisen, dass es möglich ist). Die unterschiedlichen Meinungen zur antiken Technik sind noch immer in der Literatur nachzulesen, doch hat die Autorin hier ein grosses Paket an «Beweisen» für die Richtigkeit ihrer Theorie geschnürt.

Dabei muss klar bleiben, dass das Überschleifen oder nachträgliche Beschleifen einzelner Partien eines Glasgefässes immer möglich bleibt, ausserdem hat man ja auch Dekorationen in die Oberfläche von Glas eingeschliffen. Schliff (intaglio) als Dekoration war seit flavischer Zeit bekannt und wurde bis in die Spätantike ausgeübt. Halbedelsteine oder Kristall konnte man ebenfalls schleifen, doch haben diese Materialen andere Eigenschaften und sind leichter zu schleifen als Glas. Es zeigt sich im Buch ausserdem, dass sich unter dem Mikroskop beim Schleifen entstandene Kratzer von solchen unterscheiden lassen, die auf das Formen des Glases im heissen Zustand zurückzuführen sind. Dies gilt nicht beim Betrachten mit blossem Auge.

Die Übernahme der Powerpoint-Präsentation macht die Darstellung dicht und übersichtlich. Was in früheren Publikationen der Autorin den Leser oft noch irritierte, ist hier klar zusammengestellt und muss auch Zweifler spätestens jetzt überzeugen. Selbst wenn die modernen Nachformungen von Glas nicht immer die antiken Methoden vollumfänglich nachzustellen vermögen, so kann man ihnen doch nahekommen. Das Buch sei jedem empfohlen, der über die Formen hinaus der Technologie des Glases nachspüren will und klärt viele Fragen rund um das Material Glas.

Zitierweise: Sylvia Fünfschilling: Rezension zu: Rosemarie Lierke, Die nicht geblasenen antiken Glasgefässe. Deutsche Glastechnische Gesellschaft, Offenbach/Main 2009, 134 S. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 93, 2010, S. 299-300.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 93, 2010, S. 299-300.

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